Interview mit Walter

Steckbrief

Name: Walter Salvador Arancibia Egüez
Alter: 18 Jahre
Herkunft: Cotoca, Bolivien
Familie: Eltern, eine jüngere Schwester, ein älterer Bruder
Tätigkeit in Bolivien: Schüler am Colegio Barbara Micarelli del Niño Jesús in Cotoca bis zum Abitur im Dezember 2017
Tätigkeit in Deutschland: Freiwilligendienst in der Kirchengemeinde St. Raphael (Mitarbeit in den Kindergärten St. Raphael und St. Maria Regina sowie dem Hort in St. Maria Regina, Neuland und vielen weiteren kirchlichen Gruppen und Aktivitäten)

Das folgende Interview wurde für das monatlich erscheinende Gemeindeblatt “Wegweiser” der Katholischen Kirchengemeinde in Garbsen von Lea Pohl am 18.11.2018 mündlich in einer Mischung aus Deutsch und Spanisch geführt und dementsprechend sprachlich leicht angepasst.

Persönliche Eindrücke

Hallo Walter! Am 11. Januar fliegst Du nach deinem einjährigen Freiwilligendienst in unserer Gemeinde zurück nach Bolivien. Welche deiner Erwartungen an dieses Jahr haben sich erfüllt?

 Ja also ich habe vorher gedacht, dass Deutschland anders ist, dass die Leute anders sind und ich in diesem Jahr ganz viel Neues sehe, neue Erfahrungen mache, neue Leute kennenlerne, neue Freunde finde, eine neue Arbeit habe. Ja, auch das ist eine neue Erfahrung. Ja also vorher war ich ein bisschen nervös weil, ich das erste Mal in Europa war und ich die Sprache nicht sprechen konnte, Deutsch, und das war ein bisschen schwierig. Ich war nervös, aber ich wollte auch kommen. Ich hatte also keine Angst, sondern habe immer gedacht „Ich will das, ich will eine gute Zeit hier“.

Was wird Dir aus diesem Jahr besonders im Gedächtnis bleiben?

Naja, ich glaube alles, weil für mich alles neu war, alles ganz neu, aber alles schön. Wenn etwas neu ist, ist es interessant und wenn es interessant ist, ist es schön und es war alles so interessant, also mein Projekt, zu Hause in der Familie Bannert zu sein, das Familienleben ist nämlich anders als in einer bolivianischen Familie, oder wenn ich zum Beispiel alleine in Han nover war oder auch mit Freunden zusammen war.

Welcher Ort in Deutschland hat Dir besonders gefallen?

 (lacht) Einen einzigen glaube ich gab es nicht, es gab viele die mir gefallen haben! Berlin, weil ich das erste Mal eine große Stadt gesehen habe mit vielen großen Gebäuden und vielen Leuten aus anderen Ländern. Hannover ist auch schön und ich mag Garbsen, weil hier nicht so viele Leute leben, das ist wie in Cotoca, das kennst du ja und ja Hamburg ist auch sehr interessant. Also in jeder deutschen Stadt in der ich war, war es schön. Aber das schönste war für mich in Berlin auf dem Alexanderplatz mit einem Döner zu sitzen. (lacht)

 (lacht) Das wäre jetzt auch meine nächste Frage gewesen: Was hat Dir in Deutschland beim Essen und Trinken am Besten geschmeckt?

Ach so, Entschuldigung! (lacht) Ja als erstes Döner, das ist sehr lecker und ja, Pommes mit Currywurst ist auch lecker, aber das gibt es auch in Bolivien. Zwar anders, aber hier ist es auch sehr lecker.

Aber Döner gibt es in Bolivien nicht, oder?

Nee, ich glaube nicht, nicht wie hier. In La Paz gibt es einen Laden und in Santa Cruz, aber das ist teuer. Aus Bolivien kenne ich nur den Namen, sonst verbinde ich Döner mit Deutschland oder der Türkei, auf jeden Fall mit Berlin. Ich mag Döner sehr gerne! Döner und dann gibt es noch etwas mit Marmelade drin…

Krapfen?

 Ja, Krapfen sind lecker!

(lacht) Welchen Tipp wirst du deinem Nachfolger geben, was er hier unbedingt machen sollte?

Er muss alles probieren was geht, weil er nur eine Möglichkeit dazu hat. Essen ist wichtig, ich habe viel Essen ausprobiert, viele Salate, viele Saucen, auch wenn ich sie nicht mochte, aber ich habe sie probiert. Und er sollte so viel wie möglich in andere Städte reisen, das kannst du nur einmal und ich glaube er muss alles machen. Aber das wichtigste ist, dass er gesund ist, weil wenn du gesund bist kannst du alles machen, dann kannst du es gut machen. Bist du krank oder so dann kannst du weniger machen und hast nicht so viel Spaß.

Bolivienpartnerschaft, Gemeindeleben und Glaube

Das Bistum Hildesheim hat eine Partnerschaft mit der katholischen Kirche Boliviens. Wie erlebst du diese Partnerschaft?

Das ist aber eine große Frage! Was kann ich dazu sagen?

Das, was dir zuerst in den Kopf kommt.

(lacht) Viel! Mhm, ich weiß nicht, es ist eine schöne Beziehung, die jedes Jahr besser wird und ich hoffe, dass das weitergeht die nächsten Jahre.

Wie könnte man deiner Meinung nach diese Partnerschaft fördern, damit sie noch besser wird?

Hier oder in Bolivien?

Beides.

Mhm, schwer (lacht). Naja, was kann ich sagen?

Wo siehst du vielleicht Probleme in der Partnerschaft und wie können wir diese lösen?

Es wäre schön, wenn wir Freiwilligen uns mehr treffen in der Diözese, außerhalb der Seminare.

Die bolivianischen Freiwilligen unter sich oder auch mit den deutschen Freiwilligen?

Beides. Wir könnten uns mehr unter uns treffen oder im Rahmen der Partnerschaft bei Aktivitäten der Diözese wie dem Bolivientag, das war interessant. Oder andere Aktivitäten… Wir können [dem Bistum] Hildesheim helfen, nicht nur in den Projekten sein. Wir können Aktivitäten machen, aber das haben wir nicht, nur an diesem Tag als ich mit dir in Hildesheim war.

Du meinst zur Chrisammesse?

Ja, zum Beispiel. (Anm.: Ehemalige Freiwillige informierten auf dem Domhof bei der Chrisammesse über Bolivien) Oder wir treffen uns und machen etwas für Hildesheim, das wäre schön. Aber wir haben nicht viel Kontakt. Es wäre schön, uns so zu treffen, abgesehen von Ausflügen.

Die Partnerschaft basiert auf unserem gemeinsamen Glauben. Ich würde dich bitten, die folgenden Sätze zu vervollständigen: Der Glaube der christlichen Gemeinde in Garbsen an Jesus Christus ist (…), weil…

Meiner Meinung nach?

Ja.

Die Gemeinde hat einen starken Glauben, aber einen alten Glauben, es sind nicht so viele Junge in der Messe. Ich kenne viele Leute in der Gemeinde, aber alte Leute, nicht viele Junge. Also, ich glaube der Glauben ist stark, das ist schön, es gibt viele Leute, die helfen möchten, fragen „Was kann ich machen?“ und das ist schön, das ist ein starker Glauben, aber ich glaube, wenn mehr junge Leute da wären, wäre es etwas anders. Und ich glaube, es ist schön, wenn junge Leute mit alten Leuten zusammen sind. Aber auf jeden Fall ist da ein starker Glauben in der Gemeinde.

Und jetzt im Gegensatz dazu: Der Glaube meiner christlichen Gemeinde in Bolivien an Jesus Christus ist (…), weil…

Mhm, ich kenne die Kirche in Cotoca nicht gut, was kann ich da sagen? Hier habe ich die Gemeinde erlebt, dort bin ich nicht viel in der Kirche (lacht). In Bolivien ist es anders, du weißt, der Glauben und alles, viele Leute gehen in die Kirche, aber ich kenne das nicht so gut, ich habe dazu keine Meinung. Die grundlegenden Dinge kenne ich schon, aber zur Organisation kann ich nicht viel sagen, das kenne ich nicht wirklich.

Aber in der Frage geht es nicht so sehr um die Organisation…

Sondern über den Glauben an sich?

Ja.

Er ist stärker.

Stärker als in Deutschland?

Ja, viel mehr Leute gehen dort in die Kirche. Es gibt ein paar mehr Jugendliche dort, es sind auch nicht besonders viele, aber ein bisschen mehr als hier schon und es gibt auch schöne Aktivitäten. Es gibt mehr Leute, ja, mehr Leute.

 Vergleich Deutschland – Bolivien

Was gibt es in Bolivien, das es in Deutschland nicht gibt?

(lacht) Viel verschiedenes typisch bolivianisches Essen. Aber dafür essen wir nicht viele Döner und Pommes mit Currywurst. (lacht) Das ist das erste, was mir in den Kopf gekommen ist! Was kann ich noch sagen? Ich weiß nicht, das ist eine sehr große Frage. Es gibt die hora boliviana nicht (Anm.: „hora boliviana“ bedeutet, dass jemand zu spät zu einem Treffen kommt, meist 15 min), hier gibt es keine hora boliviana (lacht). Ach nein, die Frage war, was es in Bolivien gibt, das es hier nicht gibt.

Aber das wäre sowieso meine nächste Frage gewesen: was gibt es in Deutschland, das es in Bolivien nicht gibt?

(lacht) Ich weiß nicht, Bolivien hat viele Dinge, aber wir haben keine Züge, keine Metro, keine Straßenbahn. (denkt eine Weile nach) Ach, im Kindergarten, hier gibt es keine Hausaufgaben, dort schon (beide lachen). Die Bildung ist anders, andere Konzepte, wir machen seit dem Kindergarten Hausaufgaben, hier nicht, hier wird nur gespielt und sie machen Aktivitäten, aber anders, die sind schön. Was noch? Hier gibt es mehr Ordnung. In Bolivien sind wir den Menschen gegenüber offener, hier nicht, hier sind die Menschen reservierter (lacht). Hier gibt es viele Leute aus anderen Ländern, hier sind so viele, es ist multikulti, in Bolivien gibt es auch multikulti, aber alles sind Lateinamerikaner, nicht wie hier, hier sind sie aus Afrika, aus Asien, Lateinamerika auch, viele Leute, das ist interessant.

Damit wären wir schon bei der nächsten Frage. Du weißt ja wahrscheinlich, dass viele Menschen in Deutschland Angst vor Ausländern oder Asylsuchenden haben. Was würdest Du diesen Menschen sagen?

Ich kann nur fragen: Warum? Warum habt ihr Angst vor uns? Ich verstehe nicht, warum diese Leute Angst haben vor Leuten aus anderen Ländern. Ich finde das ist eine schöne, eine besondere, eine gute Möglichkeit auch für die Deutschen, weil wenn du Leute aus anderen Ländern kennenlernen kannst, aus vielen anderen Ländern, man kann viel lernen. Ich kann nur sagen, dass sie keine Angst haben brauchen, die Deutschen sind offen, aber unter sich, warum nicht den anderen gegenüber? Wenn die Deutschen in andere Länder gehen, werden sie doch auch gut empfangen, oder nicht? Oder gab es in anderen Ländern Probleme? Kann sein, aber die überwiegende Zahl sicher nicht. In diesem Sinne sollten sie ein bisschen offener sein. Aber Deutschland ist offen.

 Ja?

Ja. Es sind ja nicht alle Deutschen gleich. Das ist ein kleines Grüppchen, [das so denkt,] das sind nie alle Deutschen.

Hattest du je Probleme damit [mit Ausländerfeindlichkeit]?

Nein. Als ich zum Beispiel in Hamburg war, habe ich auch mit Deutschen gesprochen und die sind nicht so, sie freuen sich eher, wenn sie einen Jugendlichen aus einem anderen Land sehen. „Aus welchem Land kommst du?“, fragen sie dich. Mir gefällt das. Ich habe schon mit Deutschen gesprochen, die nicht verschlossen sind. Man kann nie sagen, dass alle gleich sind. Das kleine Grüppchen würde ich fragen: Warum habt ihr Angst? Sie brauchen keine Angst haben.

 Rückkehr nach Bolivien

 Was wirst du zurück in Bolivien machen?

Studieren. (lacht) Ja also ich will Medizin studieren und dann muss ich noch eine Spezialisierung machen, da möchte ich Neurologie machen. Das sind im Moment meine Pläne, ich will studieren.

Dann zum Abschluss noch: Was möchtest du der Gemeinde noch mitteilen?

Ich möchte mich bedanken, ich hatte ein sehr schönes Jahr. Die Leute aus der Gemeinde waren sehr nett zu mir, besonders, als ich kein Deutsch konnte. Sie hatten viel Geduld mit mir. Ich freue mich, dass die Gemeinde in der Partnerschaft ist, das ist für die bolivianische Seite sehr schön. Ich sage Danke und hoffe, dass die Gemeinde weiterhin in der Partnerschaft bleibt. Aber noch ist mein Jahr nicht zu Ende, deshalb weiß ich noch nicht so genau, was ich sagen kann. (lacht)