Unser Herzensmitbewohner Jesus Christus, auf dessen Wohnungseinzug wir uns im Advent vorbereiten, wird daher in unseren Herzen im Blick auf all unser Tun immer wieder die Frage stellen: „Tust du das, was du tust, aus Liebe?“ Das kann auf den ersten Blick anstrengend sein und den Gedanken wachrufen: Wann geht er wieder? Aber mit dieser erinnernden Frage hilft er uns, unser Leben mit Bleibendem zu erfüllen, das niemand wegnehmen oder zerstören kann: die Liebe.
Rufen wir Jesus im Advent daher vertrauensvoll und freudig zu:
„Schön, dass du kommst – du bist herzlich willkommen, in unseren Herzen einzuziehen!“
Ihr Pfarrer Propst Martin Tenge
Benedikt XVI am 1. Advent 2005
“Wir haben gesagt, dass dieses Kommen einmalig ist: „das“ Kommen des Herrn. Dennoch gibt es nicht nur das endgültige Kommen am Ende der Zeiten. In einem gewissen Sinne möchte der Herr durch uns Menschen ständig auf die Erde kommen, und er klopft an die Tür unseres Herzens: Bist du bereit, mir dein Fleisch, deine Zeit, dein Leben zu geben? Das ist die Stimme des Herrn, der auch in unsere Zeit eintreten möchte, er möchte durch uns ins Leben der Menschen eintreten. Er sucht auch eine lebendige Wohnung, nämlich unser persönliches Leben. Das ist das Kommen des Herrn, und das wollen wir in der Adventszeit aufs neue lernen: Der Herr möge auch durch uns kommen. “
Advent – Einladung zur Ungeduld
“O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf.
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloß und Riegel für.”
Es ist der Schrei nach Gerechtigkeit, nach Frieden, nach Freiheit, Wahrhaftigkeit und Bewährung, der dieses Adventslieder von Friedrich von Spee (1591-1635) erfüllt,
und es ist nicht nur „das Volk in bangen Nächten“, das so dringlich den Frieden für die Erde einfordert, sondern es ist Gott selber, der von der adventlichen Unruhe umgetrieben wird.
Er steckt uns damit an.
Was also die Seele des Advents ausmacht, das ist eine tiefe, leidenschaftliche Sehnsucht, die uns mit Gott verbindet, die Sehnsucht nach einer Welt, in der Menschen in Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, Frieden und Freiheit leben können.
Es ist die Sehnsucht nach der Welt, wie Gott sie gewollt hat,
als er „am Anfang“ Himmel und Erde schuf.
Die Welt, in der wir leben, aber ist nicht so – immer noch nicht!
Jeden Tag hören wir die Namen der Orte,
an denen noch immer das Unrecht zum Himmel schreit.
Unrecht und Elend, an das wir uns nicht gewöhnen dürfen,
auch wenn es Abend für Abend über unseren Fernseher flimmert.
Denn an allen diesen Orten steht die entscheidende Frage des Advent auf:
„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröste uns hier im Jammertal.“
Unsere Erde ist ein Tal des Jammers.
Daß wir davor die Augen nicht verschließen, daß wir uns damit nicht versöhnen,
dazu gibt es den Advent.
Er will, weiß Gott, mehr sein als eine beschauliche Einstimmung auf Weihnachten.
Er will uns nicht besinnlich machen, sondern zur Besinnung bringen.
Wir haben den Advent überhaupt nicht verstanden,
solange wir ihn nicht politisch verstehen, als Einladung,
den großen Horizont der Welt in den Blick zu nehmen, der Gottes Verheißung gilt.
“O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern,
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.”
Wir sind eine Generation, die neu lernen muss, mit der eigenen Ohnmacht zu leben.
Tag um Tag wird uns zugemutet, Probleme zur Kenntnis zu nehmen,
die offensichtlich niemand lösen kann. Aber wenn wir nur einfach schlucken,
was uns die Tagesschau Abend für Abend serviert, werden wir krank.
Wir müssen das Zeug wieder aus uns herausbringen, und wir haben die Möglichkeit,
es vor Gott hinzutragen. Dazu ist der Advent da.
Wenn wir uns mit der Last, die uns drückt, vor Gott hinbegeben
und ihm unsere Fragen zumuten, werden wir, wie Friedrich von Spee,
auch die nächsten kleinen Schritten entdecken, die „aus dem Elend in das Vaterland“ führen. Dazu ist der Advent da.
Er ist uns gegeben als eine Zeit der Einübung in die Ungeduld!
aus: Rolf Zerfaß, Für uns Menschen. Predigten zum Lesejahr B, Düsseldorf 1993, 12-18.